Zur Geschichte des Reisens

Als Heinrich Schliemann in den 70 Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit den - zunächst belächelten - Ausgrabungen an den Städten des alten Troja begann, stieß er auf Erstaunliches: In den tieferen Fundamenten fand er Bernsteinketten aus Nordeuropa. Offensichtlich bestand also bereits vor 4000 Jahren ein Austausch zwischen den großen Zentren am Mittelmeer und dem weit entfernten europäischen Binnenland. Bei näherem Hinsehen erscheinen derartige Kontakte weniger überraschend, denn Mobilität- bisweilen als Privileg der industriellen Wohlstandsgesellschaft betrachtet - zählt zu den ältesten Verhaltensmustern der Menschheit. Ja, sie hat maßgeblich zu deren Entwicklung beigetragen und steht in der Kulturgeschichte lange vor der Sesshaftigkeit.
Die ältesten Gemeinschaften waren nomadisierende Sammler und Jäger, und selbst als die ersten Siedlungen von Ackerbauern entstanden, aus denen sich dann Handelszentren und Städte entwickelten, blieb die Mobilität erhalten - zumindest für einige Gruppen der Gesellschaft. Händler transportierten schon in der Jungsteinzeit (etwa 6000 - 2000 v. Chr.) Salz, Handwerksgegenstände und Rohstoffe von Skandinavien an den Alpenrand oder vom Mittelmeer an die Nordsee.

Reisen vor 3500 Jahren
In: Löschburg, Winfried: Von Reiselust und Reiseleid. Eine Kulturgeschichte, Frankfurt/M. 1977, S. 10.

Dabei folgten sie offenbar bestimmten Routen. Häufig boten sich Flussläufe als natürliche und relativ einfache Handelswege an. Auch Soldaten und Staatsbeamte nutzten die bekannten Routen. Bedeutende Seefahrernationen wie die Ägypter oder die Phönizier im heutigen Israel und Libanon wurden reich und mächtig. Bereits um 600 v. Chr. haben phönizische Seefahrer den afrikanischen Kontinent umsegelt. Der wohl älteste, heute noch bestehende Reiseweg ist die Seidenstraße, die bereits Jahrhunderte - in Anfängen vermutlich sogar Jahrtausende - vor Beginn unserer Zeitrechnung China mit Indien und Westasien verband und bis zum Mittelmeer führte. Nicht von ungefähr schrieb der große schwedische Weltreisende und Asienforscher Sven Hedin über die Seidenstraße: ,,Ohne Übertreibung kann man sagen, dass diese Handelsstraße das längste und in kulturgeschichtlicher Hinsicht bedeutungsvollste Verbindungsglied zwischen Völkern und Erdteilen ist." Vom chinesischen Tiefland aus verlief die Strecke nördlich des tibetischen Hochlands. Vor dem lebensfeindlichen Tarimbecken in der heutigen Provinz Sinkiang teilte sie sich in eine Nord- und eine Südroute, die bei Kashgar wieder zusammentrafen. Auf der alten Karawanenstraße brachten Händler Seide, Jade, Porzellan, Gewürze und Papier gen Westen und ließen sich dafür mit Gold und anderen Edelmetallen entlohnen. Den Kaufleuten folgten Pilger, Soldaten, Abenteurer und Missionare. Buddhismus, Islam und Christentum kamen so ins Reich der Mitte. Die Gesamtlänge der Strecke beträgt über 10 000 Kilometer. Mit der selbstgewählten Isolation Chinas nach der Ausrufung der Volksrepublik 1949 verlor die Seidenstraße ihre Bedeutung als Verkehrsverbindung zwischen Ost und West. Seit 1986 deuten Anzeichen auf eine Liberalisierung im Grenzverkehr zwischen China und seinen westlichen Nachbarn, namentlich Pakistan, hin, die der historischen Route eine Renaissance bescheren könnte.

Reisen in der Antike

Zwischen der alten Mobilität und der modernen Reisewelle besteht ein grundlegender Unterschied. Die frühen Reisen entsprangen einem unmittelbaren materiellen Interesse oder gar materieller Not, waren also Mittel zum Zweck. Die Ägypter waren das erste Volk, das nachweisbar die Reise als Luxus, als interessanten Zeitvertreib oder als Erholung kannte. Vermutlich blieben touristische Reisen während der Blütezeit des ägyptischen Pharaonenreiches ab 1500 v. Chr. nicht nur das Privileg einer kleinen Oberschicht, sondern waren ein weit verbreitetes Vergnügen. Ziel waren vor allem die noch älteren Pyramiden und sonstige Zeugen der altägyptischen Kultur - Parallelen zur heutigen Reisepraxis drängen sich geradezu auf. Die Griechen folgten der ägyptischen Tradition. Mit dem Aufstieg Griechenlands in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends tauchten griechische Händler an den Mittelmeerküsten und im europäischen Binnenland auf. Die Griechen verfügten damals bereits über eine ausgeprägte Sagentradition mit reisenden Helden, in der die Gefahren, aber auch die Faszination des Reisens deutlich werden. Homers "Odysseus" ist sicherlich der berühmteste Reisende der frühgriechischen Zeit.


Gonça


LEIDER OHNE QUELLENANGABEN FÜR DEN TEXT

zurück