Mord
im Hemingway-Internat -II-
Inspektor
Eugene Parker sah auf den Kalender. Es war der 23.10. und er hatte gerade
einen Mordfall gelöst. Sein Chef hatte ihm zwar gesagt, er bräuchte
nicht zur Arbeit zu kommen, weil er sich angeblich so um den Fall bemüht
hätte, für Parker war das aber selbstverständlich. Er hatte
sein Hobby zum Beruf gemacht und war sehr dankbar, dass das möglich
war.
Bis 11.00 Uhr las er einen Krimi, doch als sein alter Freund McMeyer durch
die Tür seines Büros kam, legte er das Buch aus der Hand. Parker
begrüßte McMeyer herzlich. Die beiden hatten schon oft zusammengearbeitet
und waren darüber Freunde geworden. Nach einem Glas Rotwein erzählte
der Pathologe sein Anliegen: "Alles fing damit an, dass im Hemingway-Internat
eine Leiche gefunden worden war. Sie war eingemauert worden, meinen Schätzungen
nach vor ungefähr 15 Jahren. Sie war in einen Plastiksack gelegt
worden. Dieser war nicht sonderlich dicht und die Leiche war schon reichlich
verwest. Ich konnte aber noch herausfinden, dass es sich um die Leiche
einer weiblichen Person handelt, die zum Zeitpunkt ihres Todes etwa 16
Jahre alt gewesen sein musste." Parker fragte: "Handelt es sich
um eine Schülerin des Internats?" "Wir gehen davon aus,
ja.", antwortete McMeyer. Parker hakte nach: "Wurde sie ermordet?"
McMeyer gab zu: "Nun ja, das konnten wir noch nicht herausfinden.
Wir haben keine Zeichen von grober Gewaltanwendung entdecken können,
soweit man das bei dem Zustand der Leiche überhaupt noch feststellen
kann. Allerdings waren einige Halswirbel verschoben, so dass man vielleicht
annehmen kann, dass das Mädchen erwürgt worden ist, nachzuweisen
lässt sich das jedoch nicht. Eines ist aber ungewöhnlich: Die
Kleidung des Mädchens wurde teilweise zerrissen, was eventuell auf
ein Sexualdelikt schließen lässt. Die Polizei tappt im Dunkeln."
Parker begann, sich für den Fall zu interessieren: "Also, da
ich im Moment keinen Fall bearbeite, kann ich mich mal in die Ermittlungen
einschalten. Außerdem ist der Direktor des Internats ein alter Freund
von mir." McMeyer war froh: "Danke Eugene. Es ist nämlich
so: Mein Sohn ist auf dem Internat und ich mache mir Sorgen." Parker
versuchte, seinen Freund zu beruhigen: "Keine Panik. Ich glaube nicht,
dass es im Internat jetzt gefährlicher ist als zuvor. Ich werde mich
mal umsehen." Bevor McMeyer ging, gab er Parker noch eine Halskette,
die bei der Toten lag. Das war das Einzige, was Parker hatte.
Auf seiner Reise zum Internat bemerkte Parker, dass es ziemlich abgelegen
lag. Außer einer Kleinstadt gab es dort nichts als Berge und Seen.
Das Hemingway-Internat war eine Eliteschule und Parker wunderte sich nicht,
dass nichts über den Vorfall in der Zeitung stand. Der Direktor der
Schule, John Dexter, hatte alles dafür getan. Als Parker ihn angerufen
hatte, war er sehr erfreut und bot ihm ein Zimmer an. Er war anscheinend
sehr besorgt.
Als Parker ankam, wartete der Schulleiter schon auf dem Parkplatz. Die
beiden umarmten sich, denn sie hatten sich sehr lange Zeit nicht gesehen.
Der Inspektor wurde von Dexter in das Büro des Schulleiters geführt.
Dexter machte sich wirklich große Sorgen und fing direkt an, von
den Ereignissen zu berichten: "Seitdem ich die Leiche gesehen habe,
habe ich noch kein Auge zu getan. Das ist wohl das Schlimmste, was der
Schule je geschehen ist. Bitte kläre die Angelegenheit schnell auf.
Ich will nicht, dass irgendjemandem etwas passiert!" Parker war nicht
der Ansicht, dass es im Internat gefährlich werden könnte. Aber
er verstand, dass Dexter sich Sorgen machte. Er fing an, ihn zu befragen:
"Hast du irgendeine Ahnung, wer das Mädchen sein könnte?"
Dexter war ziemlich ratlos: "Na ja, es könnte ja jedes Mädchen
sein, aber ich bin ziemlich sicher, dass es eine Schülerin ist. Denn
welcher Mörder würde extra hierhin kommen, um eine Leiche verschwinden
zu lassen?" Das hatte sich Parker auch schon gedacht, weshalb ihm
diese Aussage nichts brachte. Aber er hakte nicht noch einmal nach. Stattdessen
fragte er: "Könntest du mir sagen, ob 1988 irgendetwas Besonderes
passiert ist?" Dexter hatte leider kein gutes Langzeitgedächtnis:
"Nein, so kann ich dir das nicht sagen, aber wenn es dir hilft, kann
ich dir das Jahrbuch von 1988 geben." Damit konnte Parker schon mehr
anfangen: "Ja, ich denke, das wäre sehr hilfreich. Noch eine
letzte Frage: Was kannst du mir über das Internat sagen?" Dexter
lächelte, denn das war die erste Frage, auf die er präzise antworten
konnte: "Also, das Internat gibt es schon seit 70 Jahren. Zur Zeit
seiner Gründung gab es den Ostflügel noch gar nicht. Genau,
das ist erst 1988 passiert: Der Ostflügel wurde gebaut. Oh, Eugene,
ich glaube, ich werde alt! Mich wundert es aber, dass die Leiche im Ostflügel
versteckt worden ist, denn der war damals noch nicht zugänglich."
Parker überlegte laut: "Also kam man da nur rein, wenn man sich
auskannte. Wenn überhaupt." "Ja, auf jeden Fall.",
antwortete Dexter: "Im Jahrbuch stehen auch alle Schüler und
Lehrer, die damals hier waren. Manche der Lehrer von damals arbeiten heute
noch hier. Und ein ehemaliger Schüler ist hier sogar Lehrer geworden.
Und eine Sache noch: Überprüfe mal den Hausmeister, er arbeitete
damals schon hier und mochte die Schüler noch nie besonders."
Parker hatte vorerst genug gehört. Dexter versprach noch, ihm das
Jahrbuch auf sein Zimmer zu bringen und dann verließ der Inspektor
den Raum.
Parker
hatte sich vorgenommen, erst am Nachmittag Befragungen zu machen. Bis
dahin wollte er sich zurückziehen und sich das Jahrbuch und die Kette
genauer ansehen. Er legte sich auf das Bett und holte das Halsband aus
seiner Tasche. Es war eine goldene Kette, an deren Ende ein goldenes Herz
hing. Als er genauer hinsah, bemerkte er, dass sich das Herz öffnen
ließ. Parker öffnete es und fand in dem Herz ein kleines Foto
vor, auf dem die Buchstaben E und W standen. Parker war sich ziemlich
sicher, dass das die Anfangsbuchstaben des Namens der Leiche waren. Er
schloss das Herz wieder und schlug das Jahrbuch auf. Erst sah er sich
die Bilder der Klassen an, deren Schüler damals etwa 16 Jahre alt
waren. Auf einem der Bilder entdeckte er ein Mädchen, dass dem Mädchen
auf dem Foto im Herz sehr ähnlich sah. Parker schaute auf der Namensliste
nach, die unter dem Bild stand und fand heraus: Das Mädchen hieß
Elaine Winter. E. W. Das war es! Aber er wollte ganz sicher sein. Der
Inspektor las sich die besonderen Ereignisse des Jahres durch. Außer
dem Bau des Ostflügels war dort noch erwähnt, dass ein Mädchen
namens Laura Fletcher in eine Nervenklinik eingeliefert worden war und
dass ein Mädchen in Laura Fletchers Klasse spurlos verschwunden war.
Und dieses Mädchen hieß: Elaine Winter. Nun war ihm klar, wer
das tote Mädchen ist. Er rief gleich McMeyer an, um ihm zu sagen,
wer das Mädchen ist. McMeyer versprach dem Detektiv daraufhin, herauszufinden,
wer die Eltern des Mädchens sind. Ein DNS-Vergleich würde endgültig
Klarheit bringen.
Jonas
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